Nutzung verwaister Werke

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Dabei handelt es sich um solche Werke, die urheberrechtlich geschützt sind, obwohl deren Rechteinhaber:innen nicht bekannt oder unauffindbar sind.

Die Vorschrift erhält ihre Daseinsberechtigung aufgrund der Tatsache, dass im Zeitalter der Digitalisierung und Globalisierung Werkbestände unkompliziert veröffentlicht und an Dritte weitergegeben werden können. Dies ist auch für die (Wieder-)Veröffentlichung und Vervielfältigung älterer Werke von enormer Relevanz, weil dadurch die Rechte aus §§ 16 und 19a UrhG betroffen sind.


BEACHTE:
Anders stellt sich die Rechtslage jedoch bei verwaisten Werken dar.


Um die Tragweite dieses Problems zu verdeutlichen, im Jahre 2013 schätzte die Deutsche Nationalbibliothek (DNB) die „Zahl verwaister Werke in ihrem Bestand seinerzeit auf 585.000 Buchtitel, 138.000 Tonträger und 49.640 Filme; für die Zahl verwaister Zeitschriften und Periodika geht die DNB von einem hohen sechsstelligen Bereich.“1

Ein bloßer Hinweis des/der Nutzer:in eines fremden Werkes dahingehend, dass diese/r sich um die Auffindbarkeit des/der Rechteinhaber:in bemüht hat, schützt ersteren nicht vor der Geltendmachung zivilrechtlicher oder strafrechtlicher Ansprüche.


I. Anwendungsbereich des § 61 UrhG:


Hier kommt § 61 Abs. 1 UrhG als Befugnisnorm ins Spiel, welche besagt, dass die öffentliche Zugänglichmachung und Vervielfältigung verwaister Werke unter bestimmten Voraussetzungen (Abs. 3-5) zustimmungs- und vergütungsfrei zulässig ist.

1. Persönlich:
In Abs. 2 sind abschließend als Berechtigte aufgezählt:

  • Öffentlich zugängliche Bibliotheken
  • Bildungseinrichtungen
  • Museen
  • Archive
  • Einrichtungen im Film- oder Tonerbe


2. Inhaltlich:
Unter die verwaisten Werke i.S.d. Norm fallen:

  • Werke und sonstige Schutzgegenstände in Büchern, (Fach-)Zeitschriften, Zeitungen oder anderen Schriften
  • Filmwerke
  • Bild- und Tonträger, auf denen Filmwerke aufgenommen sind
  • Tonträger,

sofern diese aus Sammlungen (Bestandsinhalte) der oben genannten Berechtigten stammen und bereits veröffentlicht worden sind.
Für in der Praxis besonders häufig verwaiste Werke wie Fotografien oder unveröffentlichte Werke gilt § 61 Abs. 1 UrhG hingegen nicht.


II. Voraussetzungen:

1. Die Urheber- oder Rechtsinhaber:innen konnten „auch durch eine sorgfältige Suche nicht festgestellt oder ausfindig gemacht“2 werden.

  • Feststellung meint in diesem Zusammenhang die Kenntnis von der Identität der Person(en)
  • Als ausfindig gemacht gelten die Urheber- bzw. Rechtsinhaber:innen, wenn diese kontaktiert werden können (postalisch, telefonisch oder per E-Mail)


§ 61 UrhG wird dabei so ausgelegt, dass das Werk auch dann als verwaist anzusehen ist, wenn lediglich die Identität der jeweiligen Person herausgefunden wird, jedoch keine Möglichkeit der Kontaktaufnahme besteht.3

Hierbei stellt § 61a UrhG hohe Anforderungen an die Sorgfältigkeit der Suche:

  • Suche für jeden einzelnen Bestandsinhalt
  • Angaben in den Quellen durchsuchen
  • Suche in dem EU-Land der Erstveröffentlichung, gegebenenfalls sogar darüber hinaus


2. Das Werk ist als "verwaist" festgestellt.

3. Nutzung zu nicht-kommerziellen Zwecken.

Sind die obigen Voraussetzungen erfüllt, darf das Werk von den in Abs. 2 aufgezählten Einrichtungen kopiert, digitalisiert und online veröffentlicht werden.


III. Besonderheiten:

1. Regelung zu teilverwaisten Werken (Abs. 3)

a. Abs. 3 betrifft zum einen die Konstellation, dass es mehrere Miturheber- bzw. Rechteinhaber:innen gibt, von denen jedoch trotz sorgfältiger Bemühungen nicht alle ausfindig gemacht werden konnten. Solange von den bekannt gewordenen Urheber- oder Rechteinhaber:innen die Zustimmung zur Nutzung eingeholt wurde, schadet das Fehlen der Identität der anderen (Mit-)Urheber:innen nicht. Dies dient dem Schutz des kulturellen Erbes und sorgt dafür, dass der Anwendungsbereich der Norm in der Praxis nicht leerläuft.
b. Zum anderen regelt die Norm auch den Fall, dass keiner der Miturheber- bzw. Rechteinhaber:innen ausfindig gemacht werden konnte. Auch in diesem Fall kann das Werk bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen unproblematisch genutzt werden.4


2. Unveröffentlichte Bestandsinhalte (Abs. 4)
Bei noch nicht erschienenen oder gesendeten Werken gewährt Abs. 4 den berechtigten Institutionen eine Erleichterung dahingehend, dass derartige Werke vervielfältigt und öffentlich zugänglich gemacht werden können, wenn die Institutionen diese Bestandsinhalte zuvor bereits mit Erlaubnis des/der Urheber:in z. B. durch Ausstellung nach § 18 UrhG oder durch Verleihen gemäß § 27 Abs. 2 UrhG öffentlich zugänglich gemacht hatten.
Des Weiteren muss anzunehmen sein, dass der/die Urheber:in auch der folgenden Nutzung zustimmen würde. Es wird demnach an den hypothetischen Willen und persönlichkeitsrechtliche Belange des/r Rechteinhaber:in angeknüpft.

Sinn und Zweck des Abs. 4 ist nach der Gesetzesbegründung „(...) die Einbeziehung von unveröffentlichten Werken in die neue Schrankenregelung".5
In zeitlicher Hinsicht gilt Abs. 4 nur für solche Werke, die den berechtigten Institutionen vor dem 29.10.2014 überlassen wurden, vgl. § 137n UrhG6.

3. Zweckbindung der Befugnisse und Entgeltlichkeit (Abs. 5)
Abs. 5 S. 1 schränkt die Nutzungsbefugnisse aus den vorherigen Absätzen hinsichtlich einer Zweckbindung ein. Danach darf die Nutzung ausschließlich zur Erfüllung der im Gemeinwohl liegenden Aufgaben der jeweiligen Institution erfolgen. Hinsichtlich des Gemeinwohlbezugs schreibt S. 1 vor, dass es sich bei dessen Verwirklichung um eine originäre Aufgabe derjenigen Institution handeln muss, damit diese § 61 UrhG für sich in Anspruch nehmen kann.

Als konkrete Beispiele für gemeinwohlorientierte Aufgaben werden:

  • Das Bewahren und Restaurieren von Bestandsinhalten,
  • sowie der Zugang zu den Sammlungen, „einschließlich ihrer digitalen Sammlungen, zu kulturellen und bildungspolitischen Zwecken“

genannt.7

Aufgrund der Tatsache, dass die Verwertung verwaister Werke der Allgemeinheit dient, indem solche Bestandsinhalte der Öffentlichkeit zugänglich gemacht bzw. zur Verfügung gestellt werden, ist es den berechtigten Institutionen gesetzlich untersagt, durch die Inanspruchnahme der Befugnisse aus § 61 UrhG Gewinne zu erzielen (Abs. 5 S. 2). Die Norm erlaubt lediglich, den Zugang zu - von diesen bereitgestellten Werken – von einem Entgelt abhängig zu machen, um Unkosten zu decken, welche mit der Digitalisierung und öffentlichen Zugänglichmachung einhergehen.8



Quellen


[1] Dreier/Schulze, 7. Auflage 2022, UrhG § 61, Rn. 1, vgl. BT-Drs. 17/13423, 13.

[2] Dr. Till Kreutzer/Tom Hirche, in: Rechtsfragen zur Digitalisierung in der Lehre. Praxisleitfaden zum Recht bei E-Learning, OER und Open Content, Oktober 2017, S. 76. Abrufbar unter: (https://irights.info/wp-content/uploads/2017/11/Leitfaden_Rechtsfragen_Digitalisierung_in_der_Lehre_2017-UrhWissG.pdf)

[3] Dreier/Schulze, 7. Auflage 2022, UrhG § 61, Rn. 19.

[4] Dreier/Schulze, 7. Auflage 2022, UrhG § 61, Rn. 9, 20.

[5] Dreier/Schulze, 7. Auflage 2022, UrhG § 61, Rn. 9, 21; BT-Drs. 17/13423, 15.

[6] Dreier/Schulze, 7. Auflage 2022, UrhG § 61, Rn. 24.

[7] Dreier/Schulze, 7. Auflage 2022, UrhG § 61, Rn. 9, 25 f.; BT-Drs. 17/13423, 15 f.

[8] Dreier/Schulze, 7. Auflage 2022, UrhG § 61, Rn. 27.

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