Zweitverwertungsrecht und Recht zur anderweitigen Verwertung

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I. § 38 Abs. 4 S. 1 UrhG - Zweitveröffentlichungsrecht


Dieses ermöglicht Autor:innen wissenschaftlicher Publikationen, 1 Jahr nach der Erstveröffentlichung, die akzeptierte Manuskriptversion1 ihres Beitrages zu nicht-kommerziellen Zwecken öffentlich zugänglich zu machen, vgl. https://www.gesetze-im-internet.de/urhg/__38.html.

Der Urheber eines wissenschaftlichen Beitrags, der im Rahmen einer mindestens zur Hälfte mit öffentlichen Mitteln geförderten Forschungstätigkeit entstanden und in einer periodisch mindestens zweimal jährlich erscheinenden Sammlung erschienen ist, hat auch dann, wenn er dem Verleger oder Herausgeber ein ausschließliches Nutzungsrecht eingeräumt hat, das Recht, den Beitrag nach Ablauf von zwölf Monaten seit der Erstveröffentlichung in der akzeptierten Manuskriptversion öffentlich zugänglich zu machen, soweit dies keinem gewerblichen Zweck dient.

1. Hintergrund:

  • Einführung des Zweitveröffentlichungsrechtes durch das „Gesetz zur Nutzung verwaister und vergriffener Werke und einer weiteren Änderung des Urheberrechtsgesetzes“
  • Inkrafttreten: 01.01.2014


2. Anwendungsbereich:

  • Werke, die nach dem 01.01.2014 erstveröffentlicht wurden → Wartefrist von 1 Jahr ab Erstveröffentlichung
  • Werke, die vor dem 01.01.2014 erstveröffentlicht wurden


Besonderheit:
Maßgeblich für die Berechnung der einjährigen Wartefrist ist nicht die Erstveröffentlichung des Werkes, sondern – unter Anwendung des Rechtsgedankens des § 135a UrhG – das Datum des Inkrafttretens des § 38 Abs. 4 UrhG. Hintergrund dessen ist, dass Gesetzesänderungen grundsätzlich mit Wirkung für die Zukunft gelten und nur ausnahmsweise eine sog. „echte Rückwirkung“2 von Gesetzen in Betracht kommt. Für Autor:innen, die ihre Werke bereits vor dem Inkrafttreten der Norm erstveröffentlicht haben, würde dies jedoch einen massiven Nachteil darstellen, da diese von dem Anwendungsbereich des § 38 Abs. 4 S. 1 UrhG ausgenommen wären.
→ Daher wird vertreten, dass den betroffenen Autor:innen das Zweitverwertungsrecht mit der Maßgabe zusteht, dass die Wartefrist ab dem 01.01.2014 zu laufen beginnt


3. Voraussetzungen: § 38 Abs. 4 S. 1 UrhG

a. Wissenschaftlicher Beitrag


b. Beitrag ist aus einer mindestens zur Hälfte mit öffentlichen Mitteln geförderten Forschungstätigkeit3 entstanden:


  • Forschung, die im Rahmen öffentlicher Projektförderung durchgeführt wurde
  • Forschung, die an einer institutionell geförderten außeruniversitären Forschungseinrichtung betrieben wurde (hierbei kann der Staat verbindliche Vorgaben bezüglich der Ziele und Verwertung von Forschungsergebnissen aufstellen)


Kritik: Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drs. 17/13423, Anlage 3 - S. 21 ff.
Nach der Gesetzesbegründung gilt § 38 Abs. 4 UrhG ausdrücklich nicht für Beiträge von Wissenschaftler:innen, welche im Rahmen rein universitärer (nicht- geförderter) Forschung entstanden sind.


c. Beitrag ist in periodischer, mindestens zweimal jährlich erscheinender Sammlung (Bsp. Zeitschrift) veröffentlicht worden


d. Ablauf der einjährigen Wartefrist


e. Angabe der Quelle der Erstveröffentlichung (§ 38 Abs. 4 S. 2 UrhG)


4. Unabdingbarkeit:

Das Zweitverwertungsrecht der Autor:innen besteht nach Ablauf der Wartefrist unabhängig davon, ob den Verleger:innen bzw. Herausgeber:innen des Periodikums ein ausschließliches Nutzungsrecht eingeräumt wurde, was in der Praxis üblich ist.
Überdies regelt § 38 Abs. 4 S. 3 UrhG, dass jede nachteilige Vereinbarung, durch welche das Zweitverwertungsrecht eingeschränkt wird, nichtig ist. Regelungen zu Gunsten der Autor:innen bleiben jedoch möglich.



II. § 40a Abs. 1 UrhG - Recht zur „anderweitigen Verwertung“


Es ermöglicht Urheber:innen ihr Werk nach 10 Jahren anderweitig zu verwerten, auch wenn diese einen zeitlich unbegrenzten Vertrag mit einem Dritten zur Einräumung ausschließlicher Nutzungsrechte geschlossen haben. Eine Verwertung ist dann in dem gleichen Maße zulässig, in welchem die Urheber:innen dem/der Verwerter:in dies ursprünglich ermöglicht haben, vgl. https://www.gesetze-im-internet.de/urhg/__40a.html.

Bei § 40a UrhG handelt es sich um eine Vorschrift primär zur Stärkung der Vertragsparität, nicht jedoch zur Garantie einer Verwertung als solche. Das heißt, dass Urheber:innen in gleichem Maße an der Verwertung bzw. an den dadurch entstehenden Erlösen beteiligt werden sollen wie die Verlage.4

1. Anwendungsbereich:

a. Zeitlich:
Das Recht zur anderweitigen Verwertung gilt für Verträge oder sonstige Sachverhalte ab dem 01.03.2017, vgl. § 132a Abs. 3a UrhG, wobei der Vertragsschluss das entscheidende Kriterium darstellt.


b. Persönlich:
Das Recht zur anderweitigen Verwertung steht dem/r Urheber:in (§ 7 UrhG) eines Werkes zu. Auch können sich Erb:innen (§ 28 Abs. 1 UrhG) und sonstige Rechtsnachfolger:innen (§ 30 UrhG) darauf berufen. Dabei handelt es sich um eine urhebervertragsrechtliche Regelung. Anders als bei einer Schrankenbestimmung, die eine Werknutzung gesetzlich für zulässig erklärt, treten die konkreten Rechtsfolgen hierbei erst mit der tatsächlichen Ausübung durch den/die Urheber:in ein, zu der er/sie jedoch nicht verpflichtet ist!5


Besonderheit:
Hierbei wird vertreten, dass sich aus dem Wesen und der inhaltlichen Auslegung des § 40a UrhG ergebe, dass dieser in den Fällen nicht zur Anwendung kommt, in denen ein/e Arbeitnehmer:in oder Beamt:in das Werk geschaffen hat, vgl. https://dserver.bundestag.de/btd/18/086/1808625.pdf s. S. 29 f.
Dies liegt darin begründet, dass Arbeitgeber:innen und Dienstherr:innen an Werken, die in Erfüllung arbeitsvertraglicher Regelungen oder solcher aus einem Dienstverhältnis entstehen, ausschließliche Nutzungsrechte erhalten und somit auch das wirtschaftliche Risiko tragen, vgl. § 43 2. Hs UrhG. Regelmäßig dienen solche Werke nämlich spezifischen Betriebszwecken. Anderes kann nur gelten, wenn die Arbeitnehmer:innen bzw. Beamt:innen als Wissenschaftler:innen oder Forschende auftreten.


Daraus folgt:
Keine Anwendung von § 40a UrhG zu Gunsten von Arbeitnehmer- und Beamt:innen, welche im Rahmen ihrer arbeits- oder dienstrechtlichen Verpflichtungen als Urheber:innen auftreten. Es sei denn diese erstellen ein Werk unter Inanspruchnahme ihrer eigenen Wissenschafts- und Forschungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 GG.


c. Inhaltlich:
§ 40a Abs. 1 UrhG räumt Urheber:innen das Recht ein, ihr Werk nach Ablauf der 10-jährigen Frist entweder selbst oder mit einem/r anderweitigen neuen Vertragspartner:in zu verwerten. Sowohl aufgrund der Möglichkeit der selbstständigen Verwertung als auch aus dem Wortlaut lässt sich schließen, dass Autor:innen die Ursprungsversion ihres Textes (Preprint), die akzeptierte Manuskriptversion und die Verlagsversion (version of record) nutzen dürfen.


→ Es ist Autor:innen, welche Exklusivverträge mit Verlagen oder anderen Akteur:innen schließen, dringend zu empfehlen, die akzeptierte Manuskriptversion für eine Wiederverwendung zu verwahren!
→ Bei einer Zusammenarbeit mit einem/r neuen Vertragspartner:in wird diese/r in der Praxis jedoch regelmäßig auf das eigene Layout bzw. Format bestehen.


Beachte:
In Abgrenzung zu § 38 Abs. 4 S. 1 UrhG, welcher begrifflich bereits enger an die „Zweitveröffentlichung“ anknüpft und lediglich die Veröffentlichung der akzeptierten Manuskriptversion erlaubt, reicht die Befugnis :demnach bei § 40a UrhG weiter! Dies lässt sich auch mit dem Sinn und Zweck des § 40a UrhG begründen, welcher vorwiegend in der Erlösbeteiligung und der Befristung einer ausschließlichen Verwertung durch Verlage oder andere Vertragspartner:innen besteht. Schließlich erlaubt § 40a UrhG im Gegensatz zu § 38 Abs. 4 S. 1 UrhG nicht nur (Zweit-)Veröffentlichungshandlungen, sondern auch darüber hinausgehende Verwertungshandlungen.


2. Voraussetzungen:

a. Rechtseinräumung: Ausschließliche Nutzungsrechte
Der/Die Urheber:in muss einem Dritten das exklusive Recht eingeräumt haben, das Werk unter Ausschluss aller anderen Personen (auch des/r Urheber:in selbst) auf die ihm erlaubte Art zu nutzen und selbst Nutzungsrechte einzuräumen, vgl. § 31 Abs. 1, Abs. 3 S. 1 UrhG.


b. Pauschale Vergütung
Wesen der Pauschalvergütung ist, dass eine feste Vergütung vereinbart wurde und diese „beteiligungsunabhängig“6 erfolgt.


c. Dauer
Das anderweitige Verwertungsrecht steht dem/r Urheber:in nach Ablauf von 10 Jahren nach der Rechtseinräumung zu, unabhängig davon, ob die weitere Nutzungsdauer zeitlich unbeschränkt oder lediglich befristet gewährt wurde.


d. Fristbeginn
Die zehnjährige Wartefrist beginnt in der Regel mit der Einräumung des Nutzungsrechtes. Sofern das Werk bei dem/r Vertragspartner:in abgeliefert wird, handelt es sich bei der Ablieferung um den maßgeblichen Zeitpunkt.


3. Rechtsstellung der Verwerter:innen:

Mit dem Ablauf der zehnjährigen Frist endet das von dem/r Urheber:in eingeräumte Nutzungsrecht automatisch hinsichtlich seiner Exklusivität, so dass dem/r Verwerter:in danach nur noch ein einfaches Nutzungsrecht zusteht. Dies gilt unabhängig davon, ob der/die Urheber:in von dem Recht zur anderweitigen Verwertung überhaupt Gebrauch macht oder nicht.7


4. Ausschluss:

Nach Abs. 3 Nr. 1-3 ist das Recht zur anderweitigen Verwertung in folgenden Fällen ausgeschlossen:
  • Wenn der/die Urheber:in lediglich einen nachrangigen8 Beitrag zu einem Werk, Produkt oder einer Dienstleistung erbringt,
  • wenn es sich um ein Werk der Baukunst oder den Entwurf eines solchen Werkes handelt,
  • das Werk mit der Zustimmung des/der Urheber:in für Marken, Designs, Muster oder sonstige Kennzeichen bestimmt ist,
  • das Werk nicht zur Veröffentlichung vorgesehen ist.


5. Unabdingbarkeit:

In § 40a Abs. 4 UrhG wird angeordnet, dass Urheber:innen benachteiligende Regelungen gegen ein gesetzliches Verbot aus § 134 BGB verstoßen und damit unwirksam sind. Eine Abweichung von § 40a Abs. 1-3 UrhG zu Lasten der Urheber:innen ist in Ausnahmefällen jedoch durch kollektive Vereinbarungen möglich. Diese müssen ihrerseits eine gemeinsame Vergütungsregel i.S.v. § 36 Abs. 1 UrhG oder einen Tarifvertrag zum Gegenstand haben.




Weitere Literatur





Quellen


[1] Dabei handelt es sich um einen wissenschaftlichen Text, der bereits bei einem Verlag eingereicht wurde, den Peer Review Prozess durchlaufen hat und mit Änderungen versehen ist, vgl. BeckOK UrhR/Soppe, 35. Ed. 15.7.2022, UrhG § 40a Rn. 75.

[2] Bei der Rechtsfigur der „echten Rückwirkung“ wird an einen bereits abgeschlossenen Sachverhalt (Bsp. Erstveröffentlichung eines Werkes) angeknüpft. Dies ist aus rechtsstaatlichen Gründen und Vertrauensschutzgesichtspunkten problematisch, da sich die Gesellschaft auf die Beständigkeit von Rechtsnormen verlässt. Daher ist eine „echte Rückwirkung“ nur in konkreten Ausnahmefällen zulässig.

[3] Die Forschungstätigkeit wird definiert als, „jede auf Erlangung von Wissen gerichtete Tätigkeit, die an wissenschaftlichen Standards ausgerichtet ist.“

[4] Gesetzentwurf der Bundesregierung zur verbesserten Durchsetzung des Anspruchs der Urheber und ausübenden Künstler auf angemessene Vergütung, abrufbar unter: https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RegE_Urhebervertragsrecht.pdf?__blob=publicationFile&v=2 ,vgl. S. 10.

[5] BeckOK UrhR/Soppe, 35. Ed. 15.7.2022, UrhG § 40a Rn. 19-22.

[6] Hiermit ist eine Mischvergütung gemeint. „War zunächst ein Absatzhonorar oder eine sonstige laufende Beteiligung vereinbart, entfällt das Recht der anderweitigen Verwertung.“, vgl. Dreier/Schulze/Schulze, 7. Aufl. 2022, UrhG § 40a Rn. 6.

[7] Dreier/Schulze/Schulze, 7. Aufl. 2022, UrhG § 40a Rn. 7 f.

[8] Nachrangig i.S.v. § 40a Abs. 3 Nr. 1 UrhG ist ein Beitrag insbesondere, „wenn er den Gesamteindruck eines Werkes oder die Beschaffenheit eines Produktes oder einer Dienstleistung wenig prägt, weil er nicht zum typischen Inhalt (…) gehört.“

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