Urheberrechtliche Nutzungsbefugnisse für Bibliotheken & Kultureinrichtungen, §§ 60e & f UrhG

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I. § 60e UrhG – Bibliotheken


1. Anwendungsbereich:

Die Vorschrift können öffentlich zugängliche Bibliotheken für sich in Anspruch nehmen, die grundsätzlich weder unmittelbare noch mittelbare kommerzielle Zwecke verfolgen (Abs. 1).
Der mit Wirkung zum 07.06.2021 eingefügte Abs. 6 sieht auch eine kommerzielle Nutzungsmöglichkeit vor, solange es um die Erhaltung des Werkes geht.

Die Nutzungsbefugnisse des § 60e UrhG können – wie die Mehrheit der gesetzlichen Schranken - ohne Zustimmung des/der Urheber:in ausgeübt werden. Sie gelten auch für verwaiste Werke nach § 61 Abs. 2 UrhG, nicht jedoch für Datenbanken bzw. zugunsten von Datenbankhersteller:innen, da § 87c UrhG nicht auf § 60e UrhG verweist.

2. § 60e UrhG im Einzelnen: https://www.gesetze-im-internet.de/urhg/__60e.html

a. Abs. 1:
Öffentlich zugängliche Bibliotheken, die keine unmittelbaren oder mittelbaren kommerziellen Zwecke verfolgen (Bibliotheken), dürfen ein Werk aus ihrem Bestand oder ihrer Ausstellung für Zwecke der Zugänglichmachung, Indexierung, Katalogisierung, Erhaltung und Restaurierung vervielfältigen oder vervielfältigen lassen, auch mehrfach und mit technisch bedingten Änderungen.


Dieser enthält die zuvor genannte Legaldefinition von „Bibliotheken“. Abs. 1 setzt ferner voraus, dass sich das zu vervielfältigende Werk im Bestand der Bibliothek befindet oder es im Zusammenhang mit dessen Ausstellung vervielfältigt wird. Überdies ist dort die „Vervielfältigungserlaubnis“ zu bestimmten Zwecken geregelt:

  • Zugänglichmachung
  • Indexierung
  • Katalogisierung
  • Erhaltung
  • Restaurierung
Überdies sieht die Vorschrift mehrmalige Vervielfältigungshandlungen und durch die Vervielfältigung bedingte technische Änderungen vor. Die restlichen Absätze der Norm konkretisieren sodann, wofür diese Vervielfältigungen eingesetzt werden dürfen.


b. Abs. 2 und 3:
Verbreiten dürfen Bibliotheken Vervielfältigungen eines Werkes aus ihrem Bestand an andere Bibliotheken oder an in § 60f genannte Institutionen für Zwecke der Restaurierung. Verleihen dürfen sie restaurierte Werke sowie Vervielfältigungsstücke von Zeitungen, vergriffenen oder zerstörten Werken aus ihrem Bestand.
Verbreiten dürfen Bibliotheken Vervielfältigungen eines in § 2 Absatz 1 Nummer 4 bis 7 genannten Werkes, sofern dies in Zusammenhang mit dessen öffentlicher Ausstellung oder zur Dokumentation des Bestandes der Bibliothek erfolgt.


Die vorgenannten Absätze regeln erlaubte „Verbreitungshandlungen“ in physischer Form (nicht digital) an andere Bibliotheken oder Institutionen nach § 60f UrhG, wobei diese zu Zwecken der/des:
  • Restaurierung
  • Verleihens
erlaubt ist.


Eine Verbreitung von Vervielfältigungen ist nach Abs. 3 ferner möglich im Hinblick auf Werke i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 4-7 UrhG, sofern ein Zusammenhang zu einer:
  • Ausstellung
  • Bestandsdokumentation
besteht.


c. Abs. 4: Dieser enthält die sog. „Terminal“-Schranke (S. 1) und die „Anschlusskopien“ (S. 2)
Zugänglich machen dürfen Bibliotheken an Terminals in ihren Räumen ein Werk aus ihrem Bestand ihren Nutzern für deren Forschung oder private Studien. Sie dürfen den Nutzern je Sitzung Vervielfältigungen an den Terminals von bis zu 10 Prozent eines Werkes sowie von einzelnen Abbildungen, Beiträgen aus derselben Fachzeitschrift oder wissenschaftlichen Zeitschrift, sonstigen Werken geringen Umfangs und vergriffenen Werken zu nicht kommerziellen Zwecken ermöglichen.


Davon erfasst sind „Digitale Leseplätze“ in öffentlichen Institutionen, §§ 60e Abs. 4, 60f Abs. 1 UrhG. Bei diesen handelt es sich nicht um eine „öffentliche Zugänglichmachung“ i.S.v. § 19a UrhG, da die Werke den Nutzer:innen nicht zu „Orten ihrer Wahl“ zugänglich sind, sondern lediglich in den Räumlichkeiten der Bibliothek.1


  • Es findet also eine Zurverfügungstellung des eigenen Bibliotheksbestands in elektronischen Terminals (digital) zu Forschungszwecken oder privaten Studienzwecken statt.
  • Des Weiteren besteht die Möglichkeit zur Fertigung von eigenen „Anschlusskopien“ der digital bereitgestellten Werke. Hierbei kommen zum einen Ausdrucke auf Papier in Betracht und zum anderen das Herunterladen auf ein mobiles Speichergerät wie z. B. einen USB-Stick.2


Problem: Umfang der Anschlussnutzungen?


Der BGH hatte zunächst entschieden, dass die „Terminal-Schranke“ mit der Möglichkeit der Erstellung von Privatkopien verknüpft werden darf, so dass es den Bibliotheken möglich war, die Terminals an Drucker anzuschließen und USB-Anschlüsse einzurichten.3
Nachdem es jedoch zu Kritik im Hinblick auf die weite Interpretation der Nutzungserlaubnisse von Seiten der Rechteinhaber:innen gekommen war, wurde im Zuge der gesetzlichen Neuregelung des § 60e Abs. 4 UrhG die Befugnis von Anschlusskopien deutlich eingeschränkt.4


Das Gesetz erlaubt danach grundsätzlich Vervielfältigungen von maximal 10% eines Werkes. In Literaturkreisen wird darüber hinaus für mehrbändige Werke eine Auslegung dergestalt vorgeschlagen, dass die einzelnen Teile bzw. Bände als „Werke“ i.S.v. § 60e Abs. 4 UrhG interpretiert werden.5 Vollständige Vervielfältigungen bzw. Anschlusskopien (100%) in analoger und digitaler Form sind hingegen zu nicht-kommerziellen Zwecken in folgenden Fällen zulässig:6
  • Sonstige Werke geringen Umfangs (vgl. § 60a Abs. 2 UrhG7 )
  • Vergriffene Werke
  • Bei einzelnen Abbildungen
  • Bei einzelnen Beiträgen aus der gleichen wissenschaftlichen Zeitschrift oder Fachzeitschrift.
Dies hat zur Folge, dass Bibliotheken die vorgenannten „Werkarten“ uneingeschränkt zum Download oder Ausdruck zur Verfügung stellen dürfen. Für alle anderen Werkarten ergibt sich eine Verpflichtung, im Wege technischer Konfiguration sicherzustellen, dass die gesetzlichen Grenzen der Anschlussnutzungen gewahrt werden. Gleichzeitig sind die Bibliotheken gegenüber ihren Nutzer:innen auch verpflichtet, aktiv auf die Einhaltung der Begrenzungen zur Anschlussnutzung hinzuwirken.


Es ist ferner zu beachten, dass die 100%-Regel nicht für Zeitungen und Publikumszeitschriften gilt!


  • Eine Begrenzung dieser Befugnisse findet durch den Vertragsvorrang gemäß § 60g Abs. 2 UrhG statt, wonach vertragliche Vereinbarungen zwischen Rechteinhaber:innen und den Einrichtungen Vorrang vor der Schrankenbestimmung des § 60 e Abs. 4 UrhG genießen.
  • Ferner ist die „Terminalnutzung“ und die Fertigung von „Anschlusskopien“ gemäß § 60h Abs. 1 S. 2 über §§ 54-54c UrhG zu vergüten, wobei zwischen dem Bund und Ländern und den Verwertungsgesellschaften folgende Vergütungen vereinbart wurden:8


  • 120% des Nettoladenpreises für die öffentliche Zugänglichmachung an „Terminals“
  • Weitere 20% für die Möglichkeit der Vervielfältigung


d. Abs. 5: Hier wird eine Nutzungserlaubnis für den Kopienversand auf Bestellung erteilt:
Auf Einzelbestellung an Nutzer zu nicht kommerziellen Zwecken übermitteln dürfen Bibliotheken Vervielfältigungen von bis zu 10 Prozent eines erschienenen Werkes sowie einzelne Beiträge, die in Fachzeitschriften oder wissenschaftlichen Zeitschriften erschienen sind.


Gesetzlich erlaubt sind:
  • Übermittlung von Kopien bereits erschienener Werke (bis zu 10 %) auf Einzelbestellung
  • Kopien werden nur zu nicht-kommerziellen Zwecken gestattet


Kopien, die nach § 60e Abs. 5 UrhG auf (Einzel-)Bestellung an Nutzer:innen zu nicht-kommerziellen Zwecken übermittelt werden, sind nach § 60h Abs. 1 S. 2 UrhG gemäß den §§ 54 – 54c UrhG zu vergüten, d.h. im Wege der Geräte-, Speichermedien- und Betreiberabgaben.
Beachte:
Abweichend von der grundsätzlich üblichen Vergütungspflicht nach § 60h Abs. 1 UrhG sind Vervielfältigungen nach §§ 60e Abs.1 und 6, 60f Abs. 1 und 3 UrhG vergütungsfrei! Dies liegt darin begründet, dass es regelmäßig im Interesse des/der Rechteinhaber:in liegt, dass das Werk auffindbar und dauerhaft öffentlich zugänglich ist.


II. § 60f i.V.m. § 60e Abs. 1 – 4 UrhG – Archive, Museen, Einrichtungen des Film- und Tonerbes & Bildungseinrichtungen


Für Archive, Einrichtungen im Bereich des Film- oder Tonerbes sowie öffentlich zugängliche Museen und Bildungseinrichtungen (§ 60a Absatz 4), die keine unmittelbaren oder mittelbaren kommerziellen Zwecke verfolgen, gilt § 60e mit Ausnahme der Absätze 5 und 6 entsprechend., vgl.
https://www.gesetze-im-internet.de/urhg/__60f.html


1. Anwendungsbereich:

Die Vorschrift des § 60f UrhG würdigt den Umstand, dass insbesondere öffentlich zugängliche Museen und Archive einen Beitrag zur Bewahrung und Vermittlung von Kulturgütern wahrnehmen. Die Aufgabe der bildenden Informationsvermittlung kommt neben den Bibliotheken i.S.v. § 60e Abs. 1 UrhG auch den in § 60f UrhG genannten Bildungseinrichtungen i.S.v. § 60a Abs. 4 UrhG zu, so dass die privilegierten Nutzungshandlungen nach § 60e Abs. 1-4 UrhG auch diesen drei Institutionen zugutekommen.9

Auf die Privilegierung des Kopienversandes auf (Einzel-)Bestellung nach § 60e Abs. 5 UrhG können Archive, Museen, Einrichtungen des Film- und Tonerbes und Bildungseinrichtungen jedoch nicht zurückgreifen.

Problem: Fallen Theater in den Anwendungsbereich des § 60f UrhG?
Diese werden trotz umfangreicher Dokumentation bühnenmäßigen Aufführungen literarischer Werke in § 60f UrhG nicht eigens berücksichtigt und können allenfalls unter die Archive subsumiert werden.


2. Sonderregelung für Archive (Abs. 2)

§ 60f Abs. 2 UrhG enthält eine Sonderregelung ausschließlich für Archive, die im öffentlichen Interesse tätig sind. Hierdurch soll sowohl die Archivierung in elektronischer Form, welche eine urheberrechtlich relevante Verwertungshandlung darstellt, als auch die für den/die Rechteinhaber:in neutrale Archivierung in Papierform gewährleistet werden.10 Dabei darf der Bestand jedoch nicht vergrößert werden, so dass Kopien zu löschen sind.11

3. Kommerzielle Ausrichtung der Institutionen (Abs. 3)

Parallel zu der Regelung in § 60e Abs. 6 UrhG ist es nach § 60f Abs. 3 UrhG auch kommerziell ausgerichteten Archiven, Museen, Einrichtungen des Film- und Tonerbes, sowie Bildungseinrichtungen gestattet, von den über § 60f Abs. 1 UrhG ermöglichten Nutzungserlaubnissen Gebrauch zu machen.

III. Verhältnis gegenüber anderen Bestimmungen


In § 95b Abs. 1 Nr. 12 UrhG ist geregelt, dass §§ 60e und f UrhG Vorrang vor technischen Schutzmechanismen genießen. Das bedeutet, dass die Rechteinhaber:innen den Bibliotheken und den nach § 60f UrhG berechtigten Institutionen, adäquate Rahmenbedingungen für die erlaubten Nutzungshandlungen schaffen müssen. Zu beachten ist, dass hiervon nicht die Nutzung von „Terminals“ nach Abs. 4 des § 60e erfasst ist, was zur Folge hat, dass der/die Urheber:in diese Nutzungsart durch technische Schutzmaßnahmen verhindern kann.12

Quellen


[1] BGH, Urt. v. 16.4.2015 – I ZR 69/11 – Elektronische Leseplätze II; Dreier/Schulze, 7. Auflage 2022, UrhG § 60e UrhG, Rn. 16.

[2] Dreier/Schulze, 7. Auflage 2022, UrhG § 60e, Rn. 21.

[3] BGH, Urt. v. 16.4.2015 – I ZR 69/11 - Elektronische Leseplätze II.

[4] BT-Drs. 18/12329.

[5] Dreier/Schulze, 7. Auflage 2022, UrhG § 60e, Rn. 22; Wandtke/Bullinger/Jani, 6. Auflage 2022, UrhG § 60e, Rn. 64.

[6] Dreier/Schulze, 7. Auflage 2022, UrhG § 60e, Rn. 22.

[7] Werke mit nicht mehr als 25 Seiten, Musik und Filme nicht länger als 5 ½ Minuten, vgl. im konkreten Fall: BGH, Urteil vom 20. 12. 2007 - I ZR 42/05 - TV-Total.

[8] Dreier/Schulze, 7. Auflage 2022, UrhG § 60e, Rn. 24.

[9] Dreier/Schulze, 7. Auflage 2022, UrhG § 60f, Rn. 1-4.

[10] Dreier/Schulze, 7. Auflage 2022, UrhG § 60f, Rn. 7.

[11] BT-Drs. 18/12329, 45.

[12] Dreier/Schulze, 7. Auflage 2022, UrhG § 60e, Rn. 1.

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